Als Deutschland 1945 "am geschichlichen Tiefpunkt" angelangt war, entschloss sich Josef Rieck, der Perspektivlosigkeit mit einem zukunftsweisenden Impuls zu begegnen. Der Aulendorfer Buchhändler,
der sich im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime engagiert hatte, initiierte gemeinsam mit dem Frankfurter Laientheologen Ernst Michel in Aulendorf einen "Sammelplatz der
produktiven Kräfte des heutigen Denkens" - die "Gesellschaft Oberschwaben". Diese Vereinigung veranstaltete von 1945 bis 1949 im Aulendorfer Schloss eine Vielzahl von Tagungen zu
unterschiedlichsten Themen. Das Spektrum reichte dabei von Verfassungsfragen bis zur Kommunalpolitik, von der Bodenreform bis zur Bildungspolitik, von der Theologie bis zur Kirchenmusik, von der
Geschichte bis zur Literatur. So etablierte die "Gesellschaft Oberschwaben" in der Kleinstadt eine bemerkenswerte Plattform, einen "geistigen Tauschplatz", wo herausragende Vertreter des
öffentlichen Lebens - Architekten, Geistliche, Historiker, Künstler, Musiker, Politiker - über zentrale Fragen des geistigen und materiellen Wiederaufbaus diskutierten. Mit Währungsreform und
parteipolitischer Polarisierung verweigerte sich die Region der weiteren Selbstreflexion. Das "große weite Tal der Möglichkeiten", von dem Walter Münch, der spätere Landrat von Wangen,
hinsichtlich des Potenzials Oberschwaben sprach, lag verwaist dar. 1996 entstand wieder eine "Gesellschaft Oberschwaben", nun mit dem einschränkenden Zusatz "für Geschichte und Kultur". Diese
neue Gesellschaft hat sich 1998 bei einer Tagung auf Schloss Aulendorf mit Theorie und Praxis ihrer Vorgängergesellschaft befasst. Sie gibt nun einen Band über ihre Vorgängerin heraus. Die
Neuerscheinung vermittelt einen umfassenden Überblick über die Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit, über die Tätigkeit der damaligen Gesellschaft, ihre leitenden Ideen, ihre Nachwirkungen, das
politische Umfeld der Zeit sowie, am Aulendorfer Beispiel, über die realen Lebensbedingungen jener Jahre.